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Zunächst stellt sich die Frage, ob die zuständigen Behörden für das eingetretene Ausmaß und die Verbreitung der PFC-Kontamination in der Region Mittelbaden eine Verantwortung als sogenannter “störender Hoheitsträger” trifft. In diesem Zusammenhang teilte die PFC-Stabsstelle des Regierungspräsidium Karlsruhe auf Anfrage mit:  “Das Gesundheitsamt Rastatt wurde nach PFC-Befunden der star.Energiewerke Rastatt im Juni/Juli 2012, dann erst im Juli 2013 über erhöhte Werte informiert, nachdem eine Wiederholungsmessung ansteigende Werte erbracht hatte”.[1]  Daraufhin wurden alle Wasserwerke aufgefordert, PFC Analysen durchzuführen. Erste Bodenuntersuchungen wurden am 05.12.2013 in Hügelsheim und am 10.03.2014 in Niederbühl durchgeführt, da dort in den Brunnen der Wasserversorger die höchsten Werte festgestellt wurden. Nachdem die Ergebnisse der Beprobungen vorlagen, konnte erst zu diesem Zeitpunkt von einer schädlichen Bodenveränderung ausgegangen werden. Im Stadtkreis Baden-Baden wurden im Umfeld einer anderen bereits bekannten PFT-Schadensfall und gleichzeitiger Grundwassersanierung in Sandweier im September 2013 zunächst Grundwasseruntersuchungen mit Messstellenbau durchgeführt.[2] Maßnahmen der Behörden liefen danach im Juli 2013 an, nachdem der Rastatter Wasserversorger im Juni/Juli 2012 erstmals PFC-Werte im Trinkwasser feststellte, die sich bei weiteren Untersuchungen mit ansteigenden Werten auf Flächen mit einer Ausdehnung bis heute auf ca. 503 Hektar bestätigten.[3]

Maßnahmen der Behörden wurden erst ab dem Jahre 2013/2014 ergriffen. Dabei wurden folgende Maßnahmen durchgeführt (nicht abschließend):[4]

  • Gutachterliche Sanierungsvorbetrachtungen,
  • Entwicklung eines Grundwassermodells zu Fragen des Schadstoffeintrags aus dem Oberboden in das Grundwasser sowie zur jeweiligen Transportrichtung und Transportgeschwindigkeiten der Schadstoffe im Grundwasser bis Ende des Jahres 2017.
  • Grundwasseruntersuchungen auf PFC,
  • Trinkwasserüberwachung,
  • Vorernte-Monitoring,
  • Anbauempfehlungen ab 2016,
  • Untersuchung von weiteren Kompostieranlagen im Land,
  • Vergabe von Forschungsaufträgen, u.a. Phytosanierung.

Bis jedoch diese Maßnahmen anliefen, konnte sich die PFC-Fahne im Grundwasser unbemerkt und damit ungehindert ausbreiten mit allen Folgen für das Beregnungswasser aus Privatbrunnen, für landwirtschaftliche Erzeugnisse und für das Trinkwasser.

Da die problematische Düngung des Bühler Kompostbetriebes selbst von Spaziergängern registriert wurde, stellt sich die Frage, welche Kenntnisse dazu den Behörden im eigenen Zuständigkeitsbereich zur allgemeinen PFC-Hintergrundbelastung und zu besonderen PFC-Schadensfällen im In- und Ausland vorlagen. Es stellt sich auch die Frage, ob zum Themenkomplex PFC zu diesem Zeitpunkt von einer entsprechenden Sensibilisierung bei der örtlichen Kreisbehörde ausgegangen werden kann und welche Schlussfolgerungen gegebenenfalls daraus abzuleiten sind. Solche Fragen stellen sich deshalb, weil Behörden bei einem Anfangsverdacht eine Amtsermittlungspflicht trifft.

Zu Gesundheitsgefahren durch PFC kann seit den Jahren 2007/2008 auf vielfältige, wissenschaftliche Erkenntnisse aus epidemiologischen Studien, wie auch aus Tierexperimenten sowohl zu lang- als auch kurzkettigen PFC zurückgegriffen werden.[5] Seit etwa den 1950er Jahren emittierten die DuPont-Werke südwestlich von Parkersville USA/West Virginia in starkem Maße PFC. Ab dem Jahr 2005 führten Wissenschaftler Gesundheitsstudien (C8 Science Panel) in den Mid-Ohio-Valley-Gemeinden durch, die von der jahrzehntelangen PFC-Freisetzung betroffen waren. Beurteilt wurde der mutmaßliche Zusammenhang zwischen verschiedenen PFC-Verbindungen und einer Reihe von Krankheiten. Danach liegen aus den USA substantiierte Studien aus den Jahren 2005-2013 vor.[6]

Weitere besondere Schadensfälle im Zusammenhang mit PFC sind ab dem Jahre 2006 in Deutschland bekannt:

  • Sommer 2006 – PFC-Schadensereignis an den Möhnetalsperre (NRW). Ursache: bundesweit vermarktete Abwasserklärschlämme. Es sei damit zu rechnen, dass auch in anderen Regionen erhöhte Konzentrationen zu finden sind, so der damalige Abteilungsleiter Wasserwirtschaft des Landkreises Soest, Norbert Hurtig.[7]
  • November 2006 – Die Alz im Landkreis Altötting ist hochgradig mit PFC verseucht. Ursache war die dauerhafte Einleitung der Chemikalien durch das Burgkirchener Chemiewerk Dyneon. Dazu ein Sprecher von Dyneon: “Es gäbe keine Grenzwerte zur Einleitung von Chemikalien”.[8]
  • November 2006 – Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert angesichts des Nachweises von PFC in Pommes Frites einen besseren Schutz der Verbraucher vor gefährlichen Chemikalien in Lebensmitteln und macht darauf aufmerksam, dass der Verkehr und Umgang mit Chemikalien allgemein nicht angemessen kontrolliert werden kann.[9]
  •  Seit 2011 setzt sich Greenpeace im Rahmen seiner Detox-Kampagne offensiv dafür ein, dass gefährliche Chemikalien aus der gesamten Lieferkette der Textilindustrie verschwinden [10]

Weitere Hinweise ergeben sich durch die begleitende Berichterstattung in Fachkreisen, einschließlich der einschlägigen Medienberichterstattung zum Eintrag von gefährlichen Chemikalien in den folgenden Jahren. Seit dem Jahr 2000 war mit dem bis dahin fortgeschrittenen Forschungsstand zu lang- und kurzkettigen PFC ein deutlich angestiegenes Interesse in den Medien im Hinblick auf per- und polyfluorierte Chemikalien zu verzeichnen (Verschiedene Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes, des Bundesamtes für Risikobewertung, Greenpeace und Öko-Test-Veröffentlichungen):

  • Das Umweltbundesamt veröffentlichte im Jahre 2009 eine Warnung vor den Gefahren von PFC im Trinkwasser.[11]
  • Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW veröffentlichte im März 2010 die Studie „Gesundheitliche Bewertung kurzkettiger PFC im Trinkwasser“.[12]
  • Das Bayerische Landesamt für Umwelt ging bereits im Jahre 2010 davon aus, dass trotz der damals insgesamt tendenziell rückläufigen PFC-Belastung bayerischer Klärschlämme es erforderlich ist, dass bei vorgesehener bodenbezogener Klärschlammverwertung weiterhin regelmäßig PFC-Untersuchungen durchgeführt werden.[13]

Dennoch sind im Rahmen Gefahrenabwehr bis zu dem PFC-Zufallsfund der star.Energiewerke Rastatt nach einer Wasservollanalyse im Juni 2012, keine spezifischen Aktivitäten von den örtlichen Behörden oder Ministerien in Baden-Württemberg bekannt.[14] Zuletzt ergibt sich durch das im Nachhinein objektiv festgestellte Ausmaß der Schadenslage in der Region Mittelbaden ein Hinweis auf ein mögliches noch rechtzeitiges Erkennen der Schadenslage.

Einem Anfangsverdacht, der spätestens nach der Untersagungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart im Jahre 2008 angenommen werden kann, müssen gegebenenfalls orientierende Untersuchungen folgen, die den bestehenden Anfangsverdacht entweder entkräften oder erhärten. Die Aufbringung von Kompost mit Papierschlämmen verstieß bereits in den Jahren 2006 und 2007, unabhängig von der PFC-Problematik, gegen das damalige Düngemittelrecht oder Bioabfallverordnung. Dennoch unterblieben Untersuchungen und Beprobungen von potentiell betroffenen Ackerflächen. Erste Bodenuntersuchungen wurden am 05.12.2013 in Hügelsheim und am 10.03.2014 in Niederbühl durchgeführt, da dort in den Brunnen der Wasserversorger die höchsten Werte festgestellt wurden. [15]

Aktivitäten entfaltete hingegen das Bundesland Nordrhein-Westfalen nach dem PFC-Skandal an der Möhnetalsperre im Jahre 2007 mit systematischen Probenentnahmen auf PFC, wenn auch zunächst nur in Klärschlämmen. Nach der Identifizierung der mit PFC belasteten Flächen in Mittelbaden führte die Landesanstalt für Umwelt, Naturschutz und Messungen (LUBW) im Rahmen des Bodendauerbeobachtungsprogramms PFC-Untersuchungen der Böden durch.[16]

Etwa ab dem Zeitraum 2007/2008 kann im Hinblick auf PFC-Einträge in Boden und Grundwasser von einer entsprechenden Senibilisierung der Behörden in Deutschland ausgegangen werden. Bekannt war zu diesem Zeitpunkt bereits, dass eine PFC-Sanierung mit gewaltigen Kosten und weiteren Auswirkungen einher geht.

Diese Jahre andauernde Unterlassung der zuständigen Behörden könnte letztlich über die natürliche Grundwasserzirkulation mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer Gefährdung für die Bevölkerung geführt haben im Zusammenhang mit einer erheblichen Ausweitung des Schadens in der Region Mittelbaden.

Der “Prozess zunehmender Erkenntnisgewinnung”, so der Kommentar einer örtlichen Behörde, setzte schließlich ab dem Jahr 2013 ein. Seither wird die Schadenslage “in alle Richtungen” nach Vorschriften abgearbeitet. Die Vorschriften sind jedoch für eine derartig großflächige und komplexe PFC-Schadenssituation, wie jetzt in Mittelbaden, nicht konzipiert. Es könnte sich aus der Sicht der Bürgermeister aus der betroffenen Region in der weiteren Zukunft herausstellen, dass die Vorgehensweise der zuständigen Kreisbehörde der Dimension des Problems bei weitem nicht gerecht geworden ist.[17][18]

In diesem Zusammenhang ist jetzt zu klären, inwieweit die behördlichen Kontrollmechanismen versagt oder inwieweit bei der behördlichen Amtsermittlungspflicht Ermessensfehler vorlagen.[19] Für eine Haftungsfrage[20] könnte es nicht unerheblich sein, in welchem Umfang behördliches Vorgehen die Bildung und Ausbreitung der gefährlichen PFC und ihrer Vorläufersubstanzen über das Grundwasser bis in die öffentliche Trinkwasserversorgung durch das Unterlassen von erforderlichen Untersuchungen, etwa ab dem Jahre 2008 begünstigt haben könnte.

Die Landesregierung sieht für sich, wie auch die zuständigen Mittel- und Kreisbehörden, keine Garantenstellung, sprich Mitverantwortung, so der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller im März 2017.[21] Diese Stellungnahme wirkt sich dann auf Entschädigungsleistungen des Landes Baden-Württemberg aus, auf die betroffene Landwirte derzeit keine Aussicht haben, von den nicht mehr feststellbaren, gesundheitlichen Auswirkungen zum Nachteil der Bevölkerung ganz abgesehen.

Auch das GFB e.V. stellt nun, wie andere Akteure im öffentlichen Diskurs die Frage, ob die Behörden die PFC-Umweltproblematik in Mittelbaden angemessen eingeschätzt haben. Diese Fragestellung könnte zur Feststellung führen, dass die Behörden selbst als sogenannte “störende Hoheitsträger” in Betracht kommen. Eine solche Fragestellung zu beantworten, kann von den zuständigen Behörden und Ministerien in eigener Regie nicht erwartet werden.

Im April 2015, knapp ein Jahr nach dem Bekanntwerden de PFC-Schadenssituation, wurde auf der unteren Verwaltungsebene im Landratsamt Rastatt eine PFC-Geschäftsstelle eingerichtet. Dennoch gab es sinnvollerweise den Ruf nach einer übergeordneten und koordinierenden Stelle, die alle Ebenen und Ressorts bündelt. Zur Einrichtung eines solchen Geschäftsbereiches kam es schließlich im März 2017 beim Regierungspräsidium Karlsruhe mit einer zentralen Stabsstelle. Diese Stabsstelle vereint die vielfältigen Zuständigkeiten für die Behörden aller Ebenen „rund um das Thema PFC“. Sie steht als zentrale Ansprechstelle für Print- und Rundfunkmedien wie auch für alle Fragen von Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung. Diese Maßnahme, vier Jahre nach Bekanntwerden der PFC-Schadenssituation, ist geeignet, dem Aufklärungsbedarf der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Die PFC-Geschäftsstelle im Landratsamt Rastatt bleibt als Ansprechpartner ebenfalls bestehen.


  1. Regierungspräsidium –Stabsstelle PFC– Karlsruhe, Schreiben vom 02.08.2017 an das Gemeinwohl-Forum-Baden e.V. auf Anfrage.
  2. Die Grundwassersanierung im Bereich Sandweier erfolgte nach einer Mitteilung über PFC-Grundwasserbelastungen durch die star.Energiewerke am 19.09 2013 an das Landratsamt Rastatt.
  3. Diese  Angaben sind durch die star.Energiewerke Rastatt, bestätigt, die im Juni/Juli 2012 eine Vollanalyse  beim Technologiezentrum Wasser (TZW) in Karlsruhe in Auftrag gaben, bei der "keine Auffälligkeiten" mit Ausnahme PFC im Grundwasser des Wasserwerks Rauental (Konzentration < 0,1 µg/L) festgestellt wurden: Homepage der star.Energiewerke Rastatt, Offensive für gesundes Trinkwasser, Hintergrundinformation PFC-Chronologie: http://www.rastatt.de/index.php?id=2087 (Aufruf: 16.04.2017).
  4. Regierunspräsidium Karlsruhe, Antworten auf häufig gestellte Fragen zur PFC-Belastung im Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden und Mannheim, Stand: Dezember 2016, S. Ziffer 4.5, S. 15 f., https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpk/Documents/faq_pfc.pdf
  5. Acher- und Bühler Bote, Ausgabe Bühl, Artikel: Umweltbundesamt widerspricht Peter Hauk, 24.09.16, S. 23.
  6. Die Website http://www.c8sciencepanel.org fasst die Ergebnisse der US-Gesundheitsstudien zusammen.
  7. WDR.de, 03.08.2006.
  8. Frankfurter Rundschau, Chemie im Fluss, 10.11.2006.
  9. Greenpeace, 24.11.2006, Artikel: "Pommes, heiß, fettig und auch noch giftig", https://www.greenpeace.de/themen/endlager-umwelt/pommes-heiss-fettig-und-auch-noch-giftig
  10. Greenpeace: "Es geht um die Menschen, nicht über die Produkte" - die Gesichter der PFC Verschmutzung, http://www.greenpeace.org/international/en/news/Blogs/makingwaves/detox-its-about-people-not-pfc-pollution/blog/58007/
  11. http://Umweltbundesamt: http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/per-polyfluorierte-chemikalien-eintraege-vermeiden
  12. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz, http://www.lanuv.nrw.de/gesundheit/pdf/2010/Hr.%20Knut%20Rauchfuss%20-%20Bewertung%20kurzkettiger%20PFC.pdf
  13. Bayerisches Landesamt für Umwelt, Perfluorierte Chemikalien in bayerischen Klärschlämmen 12/2010, S. 24.
  14. Die Information der star.Energiewerke Rastatt über die Feststellung einer PFC-Kontamination im Juni 2012 gelangte nach Angaben der Behörden erst etwa ein Jahr später zum Gesundheitsamt des Landratsamtes Rastatt.
  15. Schreiben des Regierungspräsidiums –Stabsstelle PFC– Karlsruhe vom 02.08.2017, an das Gemeinwohl-Forum-Baden e.V., auf Anfrage.
  16. Landesanstalt für Umwelt, Naturschutz und Messungen (LUBW), PFC-Hintergrundgehalte in Böden, Stand: Nov. 2016: http://www.fachdokumente.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/118077/?COMMAND=DisplayBericht&FIS=199&OBJECT=118077&MODE=METADATA
  17. (Ober-) Bürgermeister-Resolution ( Landkreis Rastatt) zur Belastung des Grundwassers mit PFC an Herrn Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vom 2. November 2016, S. 6. http://www.goodnews4.de/images/downloads/pdf/588-2016%20PFC%20Resolution%20OB-BM.pdf
  18. Mercurius 14.10.16: SPD Rastatt fragt; Bei Kontrolle versagt? (PFC)
  19. ebd.
  20. Haftungsfrage einerseits wegen der unmittelbaren Schäden und andererseits durch entsprechende Werteverluste von Grundstücken und Immobilien.
  21. Acher- und Bühler Bote, Nr. 47, Ausgabe Bühl, 25.02.2017, S. 25.

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